Het perspectief van Bologna

Nieuws | de redactie
29 oktober 2008 | De ontstaansgeschiedenis van 'Bologna' en BaMa te kennen is essentieel voor het nu goed analyseren van wat er in en na Leuven nodig zal zijn. Prof. Klaus Landfried, de Duitse VSNU/HBO-raad voorzitter in de jaren 90, vertelt op ScienceGuide hoe hij die voorgeschiedenis ziet en de discussies sindsdien volop meebeleeft. Hij trekt scherpe conclusies voor HO-Europa. "Eine verkrampfte Einstellung gegenüber einer neuen Gestalt des Promovierens gibt es nicht nur in Deutschland,  wo noch die strenge, fast mittelalterlich geprägte Standes-Hierarchie mit ihren Ober/Ober, Ober/Unter, Unter/Unter in den sonst so innovativen Köpfen spukt."



    Die Bologna-Erklärung von 1999: Ursprung, Ziele, Umsetzung, Perspektiven


In diesen Monaten produziert sich, fast unbeachtet von der allgemeinen Öffentlichkeit, einmal mehr  eine selbstreferenzielle, akademische Subkultur, die sich noch immer als Heil bringender Nabel der Welt zu verstehen scheint, in ihrer ganzen Abgehobenheit von den eigentlichen Aufgaben des Hochschulsystems. Ich meine damit die heftige Kritik, die von sich selbst zur Elite rechnenden Professoren der Geisteswissenschaften, aber auch aus Physik, Technik- und Wirtschaftswissenschaften, insbesondere aber von deren Gewerkschaft, mit streng gerunzelten Stirnen – infolge weit hochgezogener Augenbrauen – daran vorgebracht wird, wie furchtbar doch jener Bologna- Prozess mit seinen angeblich amerikanisierten Abschlüssen die (angeblich) so gute, alt-europäische Universität ruiniere. Am liebsten geschieht dies in den Leserbriefspalten einiger Journale, die auf diese Weise sozusagen zu „Pranger-Beichtstühlen“ für den Emotionen-Exhibitionismus offensichtlich gekränkter Professoren-Seelen geworden sind. Dass manchmal auch kluge Journalisten den Jammer-Arien auf den Leim gehen und mitjammern, sollte nur den wundern, der nicht weiß, woher die meisten Leser der Feuilletons stammen.  
 
Es ist ja nicht zu leugnen, rein quantitativ ist die wichtigste europäische Studien-Struktur-Reform seit langem, also die Umstellung auf die BA/MA-Struktur in Europa, ja sogar in Deutschland gut vorangekommen. Aber ist es das, worauf es hier ankommt? Was war denn die Ausganglage vor rund 15 Jahren, als die ersten Debattenbeiträge zum Thema zu hören und zu lesen waren?  

Es war damals schon klar, dass unter den Rahmenbedingungen von 30-40 Prozent, eventuell sogar später 50 Prozent einer Altersgruppe im Tertiären Sektor des Bildungssystems, dessen universitärer Teil ja einst auf weniger als 2 Prozent bis maximal 5 Prozent einer Altersgruppe zugeschnitten war, die in der subjektiven Erinnerung der verehrten Kollegen so tolle Universität des 19. und 20. Jahrhunderts „ruiniert“ wird, freilich sich vor allem selbst ruiniert, weil sie auf die Herausforderungen einer sich differenzierenden Gesellschaft mit enorm gewachsenen, aber ganz unterschiedlichen Qualifikationsanforderungen an die große Mehrheit der Erwerbsbevölkerung nicht angemessen reagiert. In den Klagen der verehrten Freunde angeblich so „bewährter“ Abschlüsse, mit denen allerdings gerade internationale Mobilität mehr als schwer fällt, lässt sich leider nicht erkennen, dass über jene Herausforderungen der globalisierten Welt ernsthaft nachgedacht wurde.

Jedenfalls habe ich von ihnen bisher außer der immer berechtigten Forderung nach mehr Geld keine konzeptionellen Überlegungen dazu gehört, WIE denn künftig und mit welchen Zielen die Hochschulbildung stattfinden solle. Richtig ist allerdings auch der Hinweis, dass in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts in Mitteleuropa die Politik einen Fehler gemacht hat: statt massiv die gerade neu konzipierten Fachhochschulen auszubauen, und zwar so, dass wie in den Niederlanden rund 2/3 der Studenten relativ kurze, auf berufliche Tätigkeit hin orientierte Programme absolvieren und allenfalls 1/3 sich einer weiter gehenden wissenschaftlichen Vertiefung widmen, wurden vor allem die Unis (die immer noch meinen, einen höheren Rang in der Gesellschaft beanspruchen zu können..) ausgebaut und die großen Zahlen der Studenten (über 2/3) in diese für die Zukunftsaufgaben gänzlich ungeeigneten Theorie-Tempel gelockt.  

Wer die Geschichte der Universitäten in Europa studiert, entdeckt bald, dass die „gute alte deutsche Universität“ und die an ihr herrschenden Bräuche nicht so gut waren, vor allem im verantwortungsethischen Sinne, wie sie manche Nostalgiker, die nur ihre eigene, heutige akademische Subkultur zu sehen scheinen, gerne porträtieren. Und was den angeblich schrecklichen Bologna-Prozess angeht, so hängen dessen in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern beobachtbaren negativen Begleiterscheinungen nicht mit den Zielen und Maßstäben dieses Prozesses zusammen, sondern ausschließlich mit der Art ihrer Umsetzung durch Staat und Hochschulen, d.h. vor allem durch die Professores selber. 

Diese Ziele waren und sind: schrittweise einen durch ungestörte Kommunikation und virtuelle wie reale Mobilität (von Lernenden, Lehrenden, Forschenden) gekennzeichneten europäischen Raum wissenschaftlicher Bildung, Ausbildung und Forschung zu schaffen, dessen wesentliche Merkmale eine ähnlich bis gleich strukturierte Architektur der Studienangebote und des Niveaus der Abschlüsse ( nicht der Inhalte!), deren spürbar bessere Orientierung an den Chancen der Absolvent(inn)en für eine Erwerbstätigkeit und entsprechende Verfahren zur Sicherung der Qualität der Ausbildung sind.

Die von der Bologna- Erklärung vorgegebene Architektur der Studien und der Abschlüsse enthält den Dreischritt: Bakkalaureus/Bakkalaurea – Magister/Magistra – Doktor. Ich habe bewusst die in Mitteleuropa früher geläufige lateinische Variante der Begriffe gewählt, um deutlich zu machen, dass es sich nicht –jedenfalls nicht der Absicht nach – darum handelt, heutige amerikanische oder englische oder auch indische Grade nachzumachen, sondern um die Wiederkehr jener alteuropäischen Grade, die erst in der Biedermeier-Epoche des 19.Jahrhunderts zunächst in Preußen unter dem Druck der Professorenschaft beseitigt worden waren. 

Anschlussfähigkeit der Abschlüsse 

BA und MA sollen die internationale Anschlussfähigkeit der Abschlüsse wiederherstellen und den gewandelten Anforderungen der internationalen Arbeitsmärkte besser entsprechen: früher und jünger in Berufstätigkeit, weitere Qualifikationen im Verlauf eines lebenslangen Lernens, überwiegend neben dem Beruf.

Die vor allem für Deutschland (aber auch z.B. auch für Italien, Österreich oder die MOE-Länder) neuen Verfahren der Qualitätssicherung sind dem berechtigten Anliegen der überwiegend (in Europa) das Hochschulsystem finanzierenden Steuerbürger geschuldet. Die Hochschulen sollen über Qualität, Quantität, Kosten und Erfolg ihrer Tätigkeit transparent Rechenschaft ablegen. So steht es übrigens schon im „Konzept für die Entwicklung der Hochschulen in Deutschland“, das die Hochschulrektorenkonferenz schon vor über 15 Jahren vorgelegt hatte, lange bevor auch nur ein Minister an „Bologna“ gedacht hat. 

Zu Recht werden einige Entgleisungen des Bologna-Prozesses beklagt, so vor allem die in der praktizierten Form überflüssige, bürokratisch- mechanische Portionierung von Lehr-Bruchstücken (vulgo „Module“) und die damit angeblich zwangsläufig einhergehende Verschulung der Lehrinhalte. Auch der Formular- und Gremienaufwand angesichts (ebenso überflüssiger) überbordender Berichtspflichten gegenüber Ministerien und Agenturen wird zu Recht als unvertretbar hoch kritisiert.  Schließlich kann auch die manchmal fliegenbeinzählerische Attitüde gegenüber Lernen in der Wissenschaft und das rechthaberische Gehabe seitens mancher Qualitäts-Bürokraten niemanden überzeugen, da es an das Gebaren früherer „Zentralverwaltungen für Ewige Wahrheiten“ (ein Begriff von Robert Havemann für das ZK der SED..) oder der Glaubenskongregation der Heiligen Kirche erinnert. All diese ärgerlichen Entgleisungen des Wissenschaftsbetriebs wurzeln aber ausschließlich in der offensichtlichen Unfähigkeit vieler von Phantasie-Armut und Verantwortungsscheu gepeinigter Fakultäten, Fachbereiche, Landesministerien und Qualitäts-Mess-Einrichtungen, die einfachen Prinzipien jener Erklärung von Bologna zu verstehen und sie in kreative n e u e Lern- bzw. Lehrformate zu übersetzen. Was diese wären oder sind, will ich gerne noch darlegen. Aber gemach: wie war das denn 1999 zugegangen? Wie sah denn der Weg nach Bologna aus? 

Wie sah der Weg nach Bologna aus? 

Er begann schon bei den CRE-Tagungen der Jahre 1995-98, auf die ich gleich zurückkomme. (CRE= Conference des Recteurs des Universites Europeennes, heute EUA= European Universities Association). Auf der hohen Staatsebene hatten 1997/98 Gespräche zwischen einigen Wissenschaftsministern aus EU-Ländern stattgefunden – damals war die Position der deutschen Bundesregierung noch von Bedeutung und wurde auch energisch wahrgenommen- Gespräche also z.B. zwischen Luigi Berlinguer aus Italien (bevor Don Silvio die politische Bühne Italiens für einige Jahre neu choreographierte) und Jürgen Rüttgers, dem „Zukunftsminister“ im letzten Kabinett von Bundeskanzler Kohl. Bei einem dieser Gespräche in der Nähe von Köln, der engeren Heimat von Rüttgers, an dem ich teilweise teilnehmen durfte, ging es bereits um die Frage, wie man im Interesse einer besseren Wettbewerbsfähigkeit Europas im Prozess der Globalisierung eine gewisse Harmonisierung der akademischen Abschlüsse oder doch deren Vergleichbarkeit innerhalb Europas, aber auch mit denen der die Bildungsmärkte beherrschenden angelsächsischen Länder bewerkstelligen könne. 

Eine wesentlich stärkere Orientierung der ja zahlenmäßig überwiegenden Teile der akademischen Ausbildung, die nicht auf die Heranbildung des Professoren-Nachwuchses gerichtet sein sollte, an der Qualifikationsnachfrage der Arbeitsmärkte, eine bessere internationale Vergleichbarkeit und Anschlussfähigkeit der Abschlüsse, eine bessere, das heißt über die bloße Fixierung auf das spezielle Dissertationsthema hinausgehende, Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch geeignete Promotionsstudien, Karriere-Beratung und Post-Doc-Phasen, eine stärkere Berücksichtigung des Bedarfes der Unternehmen an wissenschaftlicher Weiterbildung durch in den Hochschulen im Dialog mit der Wirtschaft entwickelte Programme und eine europaweit vergleichbare Sicherung von Mindestanforderungen an das Können der Absolventen (inzwischen von der EU-Kommission zum „Gemeinsamen Europäischen Qualifikationsrahmen“ fortentwickelt) bei den verschiedenen Abschlüssen des gesamten Bildungssystems wurden als Ziele kurz behandelt. Ja: Schon zu diesem Zeitpunkt waren die späteren Ziele der Bologna-Erklärung inhaltlich erfasst und abgesteckt. Vielleicht sollte ich auch erwähnen, dass die eben erwähnten Ziele bereits bei den Bi-Annual-Conferences der CRE (heute EUA) in den Jahren nach 1995 auf der Tagesordnung gestanden hatten. Dass schon damals die Hochschulen Russlands und anderer GUS-Staaten wie auch des damaligen Jugoslawien zur CRE gehörten, sei nur am Rande erwähnt. 

Die Welt der kurzen Horizonte 

Nicht lange nach jener italienisch-deutschen Ministerkonferenz in Pulheim bei Köln lud Claude Allègre, der französische Minister für Bildung, Forschung und Technik, seine Kollegen aus Italien, dem Vereinigten Königreich und Deutschland zu einem Gespräch in der Sorbonne ein. Die feierte gerade ihren, zum Bedauern der Franzosen 10 Jahre nach dem der Universität von Bologna stattgefundenen, 800. Geburtstag. Zum vorausgehenden Frühstück präsentierte er den Ministerkollegen die kurz zuvor intern abgestimmte „Declaration de Sorbonne“, in der die eben skizzierten Ziele und Gedanken weiter in Richtung auf eine europäische „harmonisation“ hin entwickelt waren. Die vier Minister unterschrieben die Erklärung und gingen an die Presse. Das Ganze war kaum in den Medien, das begann das „Raunzen“ in Madrid und im Haag, in Kopenhagen und Athen, in Wien und Lissabon, weil man sich übergangen, ja überrollt fühlte. Wir Deutsche kennen ja das Getöse, das in ihrer Eitelkeit verletzte Oberföderalos machen, wenn sie einmal etwas nicht selbst erfunden haben. 

Das Getöse endete damals wie fast immer in der EU mit einem friedensstiftenden Beschluss, nämlich dem, die Sorbonne-Erklärung zu überarbeiten und eine neue, unter Mitwirkung aller EU-Länder plus Norwegen plus Schweiz, plus späterer Beitrittskandidaten zu formulierende Erklärung zu entwerfen und sie im Sommer 1999 in Bologna unterschreiben zu lassen. Über die tatsächliche Entstehung dieses Textes und seine Autoren könnte ich noch einige Anekdoten erzählen, wozu aber hier nicht der Platz ist. So viel sei aber verraten: die Minister selbst, die nachher unterschrieben haben, waren, was die Inhalte angeht, nicht übermäßig daran beteiligt. Mit der 1988 feierlich verabschiedeten „Magna Charta Universitatum“ hat die neue Erklärung von Bologna freilich wenig zu tun. Nun aber wird es noch einmal ernst: 

In den deutschen Provinzen (die sich als „Länder“, die sie nach dem deutschen Grundgesetz ja sind, oft wie souveräne Staaten gerieren) und in manchen ihrer Hochschulen – wie auch in manchen Unternehmensführungen – ist die gnadenlose Schärfe des globalen Wettbewerbs um vordere Plätze bei der Nutzung der einzigen – unter günstigen Umständen – erneuerbaren und vermehrbaren Ressource „Bildung“ im Kampf um Produkt- wie Verfahrensinnovationen, im Kampf um die Besetzung der Themen des medial ausgetragenen Wettbewerbs um die Dominanz kultureller Leitbilder (und der ihnen wieder folgenden Produkte), also die Schärfe dieses Wettbewerbs ist dort noch nicht überall bewusst geworden. Natürlich wird in den üblichen Sonntagsreden das Lippenbekenntnis zur zentralen Bedeutung von Bildung und Forschung für das Überleben des jeweiligen Landes abgelegt. Aber die meisten der Bekenntnisse blieben bisher fast folgenlos. Das „Megathema Bildung“ gebar in Deutschland zwar neue Programme wie „Elite-Universitäten“ oder „Hochschulpakt“. Rechnet man aber einmal netto die bei den Hochschulen insgesamt ankommenden Mittel zusammen und rechnet noch die Inflationsraten der letzten sechs Jahre heraus, so bleibt fast nichts als Umverteilung zu Gunsten weniger. 

Bei fast jeder kulturellen Selbstvergewisserung deutscher Intellektueller – man schaue nur in die Feuilletons der deutschen Zeitungen – der englische Economist und die NZZ sind da offener – wird mit einem fast schon romantisch zu nennenden Blick in verklärte Vergangenheit und einer ans Alte Testament gemahnenden Katastrophen-Prophetie operiert. Zuweilen fällt man dann auf medial geschickte Schamanen – auch aus der Wissenschaft – herein, die mit wirksam dramatisierten Problemen ihre Geschäfte zwecks Steigerung ihrer Reputation betreiben. Vom Waldsterben über BSE und Vogelgrippe bis hin zur Abkühlung des erhitzten Klimas beispielsweise durch Tempolimit oder durch mittels Rechtsverordnung zu verbietende Stand-By-Schaltungen elektrischer Geräte und bis hin zu den durch kein Sachargument zu rechtfertigenden Fahrverboten wegen Feinstaubs.

Überleben nach 2015

Bei soviel der Medienwelt geschuldetem Dilettantismus geraten leider die weniger leicht medial zu dramatisierenden Herausforderungen der europäischen Gesellschaften aus dem Blick, von denen ich hier vier nennen will: 
und vor allen anderen die vor- und durchdringende Überalterung der Bevölkerungen mit ihren Konsequenzen für Bildungssystem, Arbeitswelt, Alterssicherung, Krankenversorgung, Pflege. Die Sicherung einer angemessenen Versorgung mit Trinkwasser und Brauchwasser, auch für die Landwirtschaft, vor allem in den Ländern, die wie Brasilien, auch die USA und einige asiatische Länder im Tropengürtel, aber eben auch Spanien, Portugal, Griechenland, Italien, ja auch Frankreich (im Süden) ihre Wasservorräte wie auch ihre Wälder seit Jahrhunderten geplündert, ja zum Teil vernichtet haben und weiter vernichten. Dass dieses Problem mit der Klimaerwärmung vor allem in tropischen Ländern, die immer noch durch Brandrodungen ihre Lebensgrundlage vernichten, noch dramatischer wird, wird kaum bestritten, ohne dass konstruktives Handeln dagegen mit einer gewissen Wirksamkeit erkennbar würde. Die Sicherung einer das materielle wie kulturelle Lebensniveau stützenden Energie-Versorgung, ohne zu sehr von einigen wenigen Anbietern erpressbar zu werden und ohne die üblichen ideologischen Vorurteile zu pflegen.

Nicht zuletzt eine Mäßigung jenes Prozesses, bei dem die Schere zwischen geringen und gewaltigen Einkommen auseinander geht, was in den USA, aber auch in Europa zu unverhältnismäßigen und jenseits aller Leistungskriterien wachsenden Managereinkommen geführt hat. Aus dieser Schere erwächst eine auch demoskopisch gut belegte Entfremdung zwischen „denen da oben“ und „uns da unten“, wächst die Angst vor dem „ungerechten“ sozialen Abstieg auch in den Mittelschichten, nicht zuletzt genährt durch einen ebenfalls erkennbaren Trend zu einer Zwei-Klassengesellschaft in Bildung und Krankenversorgung, wo doch gerade bei der Bildung das Feld wäre, um jeden klugen Kopf zu motivieren, sich fordern und fördern zu lassen. Und es wächst dabei auch die Entfremdung vom demokratischen Verfassungsstaat, der scheinbar hilflos alles treiben lässt. Politisch-emotionale Radikalisierungen sind die Folge, noch mehr Dilettanten in der Politik dann die Konsequenz aus letzteren.

Zwar sind Anzeichen erkennbar, dass Unternehmen dem bislang grassierenden Jugendwahn abschwören – „Herr Meier, Sie werden jetzt 52, haben auch bisher bei uns 20 Jahre ordentlich gearbeitet, aber am 31.12. kommt ein jüngerer auf Ihren Platz, und Sie bekommen eine nette Abfindung“- notgedrungen abschwören oder auch aus menschlicher Klugheit. Es finden sich auch immer mehr Unternehmen, die sich endlich den sich weiterbildenden Älteren zuwenden und diese einstellen, auch um deren anders strukturierte Mischung aus Erfahrung und Kreativität zu nutzen. Das wird allen Anbietern einer Weiterbildung, die nicht „abgestanden“ ist, sondern ebenso wissenschaftsaktuelle wie praxisrelevante Qualität besitzt, neue Chancen eröffnen. Seien sie nun Hochschulen, Unternehmen oder Verbände. Bisher freilich haben die Hochschulen diese Aufgabe, die einigen von ihnen nach 2015 das Überleben sichern kann, wenn sie sich jetzt schon dafür vorbereiten, noch nicht recht wahrgenommen. Nur ganz wenige (in Deutschland) bieten Berufs begleitende Kurse und Studien-Programme mit Zertifikaten und akademischen Abschlüssen an. Ohne Zweifel wird auf dem Weiterbildungsmarkt nur Erfolg haben, wer ohne Vorbehalte mit Unternehmen gemeinsam derartige Programme abstimmt und gleichzeitig die traditionellen Formen akademischer Belehrung durch neue, kreative Lernformen für Erwachsene ersetzt.  Die Universität St.Gallen kann auch hier als Vorbild gelten. 

Was, so könnte zu Recht gefragt werden, haben diese eher allgemeinen ökonomischen und kultursoziologischen Betrachtungen mit dem Bologna-Prozess zu tun? Eine ganze Menge, denke ich. 

Haben sich denn die Hochschulen auf den demographischen Wandel und seine Herausforderung eingestellt? Im Unterschied zu vielen Universitäten in den Niederlanden, in Großbritannien oder in den USA scheinen es viele Hochschulen in Deutschland noch nicht wirklich begriffen zu haben, was da auf sie zukommt. Obwohl ja immer wieder davon geredet wird. Darauf gehört hat in Deutschland unter anderen die TU Kaiserslautern mit ihrem nach der Fernuniversität Hagen zweitgrößten Fernstudienaufkommen in Deutschland. Auch mehrere Fachhochschulen beziehungsweise deren Verbünde pflegen Formen des berufsbegleitenden Studierens, auf das die Bologna-Architektur sehr gut zugeschnitten erscheint. 

Wenn nötig: Vier Jahre Bakkalaureat/Bachelor 

Dabei muss nach meiner Auffassung durchaus in den verschiedenen Fächern oder besser Qualifikations-Feldern die bisher von deutschen Ländern (nicht etwa von der Bologna- Erklärung) verordnete, so törichte Einheitlichkeit mit einem drei Jahre = 180 ECTS-Punkte umfassenden Bakkalaureus und einem nur in zweijähriger Form erwünschten Magister/Master überprüft werden. Dort, wo eine direkte Berufsqualifizierung angestrebt wird, sollten auch 3 ½ und 4-jährige BA Programme möglich sein, wie sie in Indien, Schottland, Australien oder in den USA üblich sind. Das schafft Zeit für eine projektgestützte Propädeutik der Wissenschaftsmethodik, Raum für internationale Mobilität und für die unerlässlichen Praktika. Ein im Schnitt etwa vier Jahre dauerndes Bakkalaureus-Programm, das erkennbar den Anforderungen an Methoden- wie Fachkompetenz gerecht wird, wäre eine bessere Alternative als die bisher von den meisten deutschen Ländern verordneten drei Jahre mit ihrer bloßen Zählung von „Modulen“ und ECTS-Punkten, also „erledigten“ Zeiteinheiten und „abgeprüften“ Wissens-Fetzen. Kompetenzen, also Können (und Lernen Können) auf der Basis von Wissen, sind das Ziel auch der wissenschaftlichen Ausbildung, nicht scheinbar gesicherte „Inhalte“.  

Einem solchen BA könnten dann zu einem späteren Zeitpunkt zwischen einem und zwei Jahre laufende Magister/Master- Programme folgen, die entweder auf berufliche Tätigkeit oder auf wissenschaftliche Vertiefung hin orientiert werden können. Programme, die in aller Regel aber nicht –wie leider derzeit praktiziert- unmittelbar nach dem ersten Abschluss besucht werden, sondern erst später aus dem Beruf heraus. Dabei sollten die jeweiligen Fächer aber nicht vergessen, dass erstens nur ein geringer Prozentsatz der BA-Absolventen (nach Master oder Doktor) einen Platz in der Forschung finden oder auch nur suchen wird, und zum zweiten, dass für diesen nächsten Abschnitt, zumal wenn das Programm fachlich vom erworbenen Bakkalaureus abweicht, eine Eignungsfeststellung unausweichlich wird. Dass für junge Leute, die schon beim BA-Studium eine hohe Begabung wie Neigung zur Wissenschaft erkennen lassen, auch der direkte Weg aus einem herausragenden Bakkalaureus-Abschluss in ein Promotions-Studium möglich sein muss, also ohne den Magister/Master, sollten die Universitäten (nach internationalen Vorbildern) in ihren Promotionsordnungen erlauben und fördern. Deutlich früher abgeschlossene Promotionen nutzen der Forschung wie dem Nachwuchs für die Unternehmen. 

Alles dies wird eine Form des Studierens oder Weiterstudierens erleichtern, die ohnehin in längstens zehn Jahren auch in Deutschland der Normalfall sein wird: Das den Beruf begleitende Studieren, Selbstlernen, angeleitet durch „moderierende“ und in dialogischer Didaktik erfahrene, d.h. dafür geschulte Professor(inn)en, zu einem Teil auch als e-Learning, ergänzt durch Präsenzphasen und „Anwendungs-Projekte“ wird das wichtigste Lernformat der Zukunft sein. Wie das geht, kann man unter anderem an der privaten Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) in Essen (mit vielen Nebenstandorten in anderen Bundesländern) erfolgreich praktiziert sehen. Und die Hochschulen sollten, statt auf BA-Programme nicht hochschulischer Anbieter los zu schimpfen, besser auf die Nachfrage achten und auch mit jenen Anbietern kooperieren. 
 
Als wir vor rund zehn bis 12 Jahren in der CRE die „Pros“ und „Cons“ einer neuen, ganzheitlich zu sehenden Bildungs-Wertschöpfungs-Kette diskutierten, vom frühkindlichen Lernen im Spiel über die an der kindlichen Neugier orientierte Primar-Schule, über Sekundarschule und Berufsbildung bis hinein in Tertiär- und Quartärbereich, standen uns die Chancen schon vor Augen, die mit der Wiedereinführung der aus der spätmittelalterlichen Universität überkommenen, aber natürlich inhaltlich ganz neu zu füllenden Grade Bakkalaureus/Bachelor und Magister/Master und Doktor sich boten: aus dem BA in den Beruf, auch ins Ausland, und nach ein paar Jahren Berufstätigkeit zum Weiterstudieren, berufsbegleitend, zurück an eine Hochschule, oder auch direkt, wie schon dargelegt, in ein Promotionsprogramm. Der deutsche Wissenschaftsrat hat in Empfehlungen aus den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ähnliche Vorstellungen entwickelt, aber leider nicht durchsetzen können. Die Freunde des „Bewährten“ behielten (wie so oft) die Oberhand. 

Etikettenschwindel versus ernsthafte Studienreform 

Die aus dem Bologna-Gedanken in Deutschland fälschlich abgeleitete Stufung aufeinander folgender Studien und ihrer Abschlüsse („konsekutiv“), bei der in den ersten drei Jahren die Grundlagen des Faches durch Eintrichtern des Prüfungsstoffes gelegt werden sollen –oft leider, ohne die Methoden selbständig zu üben und zu reflektieren – ähnlich wie bisher bei Zwischenprüfung oder Vordiplom – an die danach die groteskerweise noch immer an der Heranbildung des professoralen Nachwuchses orientierte Magister/Masterausbildung für mehr als ¾ der Studierenden „angehängt“ wird, kann man nur als Etiketten-Schwindel und als Pervertierung der Bologna-Idee bezeichnen. Mit diesem rigiden und falschen Muster und vor allem mit der Unterdrückung des selbständigen Lernens, das die Verwaltung von ebenso massenhaften wie unnötigen Prüfungen erleichtern mag, das aber eben nicht das Lernen stärkt, werden die meisten Chancen der neuen Architektur, nämlich den frühen Berufseintritt junger Lernwilliger und deren Mobilität zu fördern, nationale, transnationale wie auch berufliche, verstopft. 

Es ist vor allem die didaktische Einfallslosigkeit der Professoren, die außer Referieren und Referieren-Lassen andere Lernformate entweder nicht zu kennen oder für unter ihrer Würde zu betrachten scheinen, die das Leiden der Studenten („Krank durch Bologna?“ titelte eine Zeitung) hervorruft. (An die vielen Studien-Abbrecher glaube ich erst, wenn aus den Schätzungen auf Grund von Befragungen Statistiken geworden sind, die es heute wegen des Datenschutz-Fetischismus nicht gibt. Viele jedenfalls scheinen nur zeitweise „auszusteigen“ oder auch nur zu wechseln. Im Sinne der bisherigen Erfassung ist jedenfalls die frustrierte BWL’erin aus Köln, die nach Stuttgart an eine Berufsakademie geht, eine „Abbrecherin“.) 

Forschendes Lernen im Sinne Humboldts ist immer dann möglich, wenn man die ausgetretenen Wege veralteten akademischen Unterrichts verlässt. Was alles an Lernformaten möglich ist und auch genutzt wird, kann man z.B. bei Professoren studieren, die für die Auszeichnung „Professor des Jahres“ des  UNICUM-Verlags vorgeschlagen werden, zum Beispiel an der kleinen Zeppelin-University in Friedrichshafen, aber beispielsweise auch bei einigen  Professoren wie jungen Dozentinnen in Leipzig, Frankfurt, Bochum, Rostock, Konstanz, Lüneburg und an einer ganzen Reihe von Fachhochschulen: z.B. Projekt-Studium, gerade auch in Natur- und Technikwissenschaften, Mentoring und Coaching, Planspiele, Rollenspiele, Praktika in Unternehmen mit theoretischer Auswertung, und alles auch noch fächerübergreifend. Dass solche „Sperenzien“ (ich zitiere einen etablierten „Geweihträger“ aus einem philologischen Massenfach an einer Uni) unter den Bedingungen der vom staatlichen Vorschriftenkorsett getragenen, so genannten Massen-Universität nicht gehen würden, kann ich nicht glauben. Es fehlt ja oft schon am Willen, es zu versuchen.

Man brauche dazu mindestens das dreifache Personal, heißt es dann. Falsch gedacht! Falsch, weil bei solchen Aussprüchen immer noch der kluge Prof und der zu belehrende Student das Rollenverständnis prägt. Das Ausmaß an organisatorischer Unterstützung, das durch Mobilisierung der Studenten erreichbar ist, kann nur ermessen, wer dies schon einmal hat begleiten und beobachten können. Wer z.B. als Prof  nicht eine Vorlesung mit 4 SWS (also bei (seltener) grundlegender Vorbereitung bis zu 12 Stunden in der Woche „workload“ ) halten muss, sondern das  nur angeleitete forschende Lernen  von, sagen wir, 250 Studenten moderieren will, gewinnt die dafür nötige Zeit aus dem entfallenden „Vorlesen“. Und die vielen studienbegleitenden Klausuren? Die meisten sind überflüssig. Eine pro Kurs und Jahr reicht oft. Dann wissen die Beteiligten auch alle, worauf es ankommt. Stattdessen lohnen sich Kurz-Berichte in Gruppen, die von älteren Studenten moderiert werden. In den Laborfächern wird ohnehin bei der Arbeit korrigiert und bewertet. Und dann gibt’s dafür Credits.

Social Skills

Ja, und woher erhalten die „unbedarften“ jungen Leute die Fakten des Faches? Einmal recherchieren sie sie bei ihren Projekten und für sie, zum andern hören und sehen sie Kurse/Vorträge/Podien/Laborberichte ihrer (oder fremder) Profs im Netz. Wohl der Hochschule, die wie Harvard, MIT oder Stanford alles schon im Intranet anbietet. Dass dazu auch gehört, dass die verehrten Kollegen „Zaunkönige“ untereinander Teams bilden, ist ein Teil der überfälligen neuen Lernkultur. Ohne sie ist „Bologna“ auch nicht zu bezahlen. 

Ähnliches gilt für die Doktoranden-Phase: Debra Stewart, President of The Council of Graduate Schools in the USA hat Anfang 2007 bei einem Deutschland-Besuch für eine spürbar breiter angelegte Doktoranden-Ausbildung vor allem auch in „social skills“ plädiert, „weil eine moderne Doktoranden-Ausbildung mehr bieten muss als die intensive Beschäftigung mit einer speziellen wissenschaftlichen Frage.“(ZEIT 23.3.07) Die Promotionsrecht-Wärter müssen endlich auch würdigen, dass je nach Fach zwischen 60% und 80% der Promovierten nicht an Hochschulen und auch nicht in der Grundlagenforschung ihren Beruf ausüben werden. Zwar sind auch in Deutschland Ansätze zu solchen vor allem überfachlichen Graduierten-Schulen erkennbar, doch gibt es in einer Reihe von Fakultäten, zumal in den so genannten T9, einem selbst ernannten Elite-Club von neun größeren, überwiegend technisch geprägten Universitäten, noch Widerstand dagegen. Verlustängste um die quasi als „Privatbesitz“ betrachteten Doktoranden werden als Bedenken gegen eine „Einmischung von außen“ und eine „unnötige Ablenkung“ der Nachwuchs-Wissenschaftler(innen) artikuliert, weil von dem einen oder anderen Professor befürchtet wird, der überfachliche „Bildungsfirlefanz“ werde die ohnehin bis weit über die Grenzen der Arbeitszeitverordnung hinaus beanspruchten promovierenden „Zulieferer“ der für die professorale Reputation so wichtigen Drittmittel- Projekte bei ihrer Kernarbeit behindern. 

Man schlägt ein auf eine angebliche (natürlich von niemandem ernsthaft gewollte) „Verschulung“ der Promotion, obwohl doch gerade die fachübergreifende Reflexion das Ziel jener vom Zeitaufwand her nur wenig anspruchsvollen Zusatzangebote darstellt. Dort, wo solche Angebote gemacht werden, die vor allem die interkulturelle Kompetenz stärken, ist die Nachfrage der Doktoranden, gerade in den Ingenieurwissenschaften, enorm; auch dann übrigens, wenn einzelne Herren Professoren “ihren“ Doktoranden die Teilnahme an derartigen Projekten zu verbieten trachten. Kein Wunder, dass so viele junge Leute danach erst einmal in Länder fortstreben, in denen Eigenverantwortung und Freiheit auch für den Nachwuchs an den Hochschulen herrschen und nicht die „Ochsentour“ durch die Hierarchiestufen.

‘Die Welt hochwerfen’

Eine derart verkrampfte und die wirklichen Notwendigkeiten verfehlende Einstellung gegenüber einer neuen Gestalt des Promovierens gibt es nicht nur in Deutschland (a bisserl auch in Österreich und in der Schweiz), sondern auch in anderen europäischen Ländern, wo da dort noch die strenge fast mittelalterlich geprägte Standes-Hierarchie mit ihren Ober/Ober, Ober/Unter, Unter/Unter in den sonst so innovativen Köpfen spukt. Solange von einzelnen Professoren abhängige wissenschaftliche und so genannte „nicht-wissenschaftliche“ Mitarbeiter den Fortschritt der Forschung garantieren müssen, solange erstklassige Absolventen aus Fachhochschulprogrammen auch hervorragend bewertete Dissertationen eher im Ausland oder an guten Universitäten in den neuen Ländern betreut bekommen und einreichen können, werden wir Mitteleuropäer nur schwer dem forschen, ja manchmal aggressiven, aber eben auch dynamischen, weil nicht statusbezogenen Team-Geist  internationaler Forscher-Gruppen Paroli bieten können.  

„Gute Universitäten entstehen durch Mut“, sagt Sascha Spoun, der junge Präsident der Leuphana-Universität in Lüneburg. Ja, so ist es.  Und  der Satz passt toll zu jenem, einem japanischen Haiku ähnlichen Kurzgedicht von Hilde Domin, der vor 2 Jahren leider verstorbenen, großen deutsch-jüdischen Dichterin des 20.Jahrhunderts:  “Wer es könnte, die Welt hochwerfen, dass der Wind hindurchgeht.” Dieses winzige, aber so starke Gedicht habe ich mir oft selber laut zugerufen, wenn mich wieder einmal der „Muff“ des angeblich so „Bewährten“ zu ersticken drohte.

Mut braucht es auch, um die gegenwärtig in Details verzettelte und zu teure Form der Akkreditierung wieder auf das Wesentliche hinzuführen: die Erfüllung von Anforderungs-Standards exemplarisch zu prüfen und entweder zu bestätigen oder zu verneinen. Wer dann den Blick auf die Qualitäten der gesamten Institution richtet, die vielleicht schon selbst eigene Qualität sichernde Verfahren eingeführt hat, kann dann, wenn diese Verfahren regelmäßig extern bewertet werden, bei den eigentlichen Studienprogrammen sich auf (nicht angekündigte!) Visiten mit Stichproben begrenzen und so den unnötigen Akkreditierungsstau abbauen. Vor allem der juristische Perfektionismus im Akkreditierungsrat – im deutschen wie auch im österreichischen – hat ein Ausmaß an beckmesserischem Fliegenbeinzählen (und daraus abgeleiteten Forderungen) erzeugt, gegen den energischer Widerstand nur empfohlen werden kann. Mit Qualitäts-Management hat das jedenfalls nichts zu tun.

Bildung ist mehr als Wissen

Noch ein Nachwort zu den zentralen Begriffen von Bildung und Ausbildung:

Bildung ist mehr als Wissen und mehr als Qualifikation. Bei Bildung und Ausbildung geht es um „Weltaneignung“, um einen Lernprozess, der streng systematisches Analysieren, ganzheitliches Verstehen von Zusammenhängen, gekonntes und verantwortbares Handeln und Gestalten im Sport wie in der Kunst, in der Wirtschaft wie beim Staat ebenso einschließt wie auch die emotional geprägte Suche nach Antworten auf die Frage nach den „letzten Dingen“: nach dem Woher und Wohin des menschlichen Lebens, auch nach der Bedeutung des eigenen Todes.

Nur eine Orientierung der Persönlichkeit am vorurteilsfreien Erfassen der Wirklichkeit und an menschlichen Werten wird dem wirtschaftlich von Asien langsam überwältigten Europa eine neue Chance und einen neuen Vorsprung geben können, wenn wir unsere Chancen auch nutzen. Das heißt aber auch zu erkennen, dass Bildung durch aktives, eigene Erfahrungen machendes, erprobendes, auch emotional bewegtes Lernen geschieht, nicht aber durch jene Art der Wissens-Verabreichung, die nicht zu Unrecht mit dem Nürnberger Trichter und mit dem für deutsche Prüfungsordnungen so typischen Bürokratenwort „Stoffabprüfen“ verbunden wird. Die moderne Hirnforschung lässt uns leicht erkennen, dass auf „verabreichte“ Weise angemästetes Wissen in der Regel rasch den Synapsen des Gehirns entfällt, spätestens nach der Prüfung…

Wenn es also eine Reform gibt, die die gesamte Wertschöpfungs- Kette unseres Bildungssystems durchdringen wird, ja durchdringen muss, so ist es die Art und Weise, wie gelernt wird, in der Familie, im Kindergarten, in Schule und Berufsbildung genauso wie in Hochschule, Unternehmen und Weiterbildung. Die dazu gehörenden kreativen neuen Lern- und Lehrformate gibt es längst (siehe oben). Nur sind sie noch nicht überall bekannt. Und wenn bekannt, dann doch nicht beliebt, weil Gewohntes zu ändern ist. Und sie sind auch nicht so einfach von oben herab vom Katheder oder Lehrstuhl umzusetzen, wie es die traditionellen Vorlesungen, Seminare und Laborpraktika waren. 

So wenig eine auf bloße Fertigkeiten für bestimmt Berufe sich richtende „Ausbildung“ sinnvoll wäre, weil heute niemand die sich ständig weiter entwickelnden Anforderungen der Arbeitswelt in zwanzig oder dreißig Jahren kennen kann, so weltfremd wäre auch die „Verabreichung“ eines scheinbar humanistischen Bildungskanons a la Schwanitz. Einmal, weil dieser Kanon auf dem einen Auge blind ist, also bloß Halbbildung darstellt. Denn er unterdrückt mit seinem geisteswissenschaftlichen Monopolanspruch andere, zentrale Wege der „Weltaneignung“: Mathematik, Naturwissenschaft und Technik. Auch die gehören zur Bildung. Zum anderen aber, weil er mit seiner belehrenden Besserwisserei den schon vom Philosophen Fichte vor 200 Jahren erkannten Kern von Bildung vergisst: „Bildung beruht auf Selbsttätigkeit und zielt auf Selbsttätigkeit ab.“ 


Klaus Landfried, voormalig voorzitter van de HRK, de Duitse koepel van de hbo- en wo-instellingen, en oud-president van de Universiteit van Kaiserslautern





























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