Claudio Magris bekroond
Magris’ interview met
In seiner Rede monierte der in Triest lebendeGermanistik-Professor, Essayist und Romancier, dass es “bisweilenunsichtbare Grenzen” zwischen Einheimischen und Einwanderern ineuropäischen Großstädten gebe. Eine beklagenswerte Situation, denn:”Auf Europa wartet die große und schwierige Aufgabe, sich den neuenKulturen der neuen Europäer aus der ganzen Welt zu öffnen, die esdurch ihre Mannigfaltigkeit bereichern.”
Der dritte Weltkrieg
Voraussetzung dafür sei jedoch, dass in Europa Werte wie dierechtliche Gleichstellung aller Bürger – unabhängig von Geschlecht,Religion oder Volkszugehörigkeit – nicht mehr in Frage gestelltwürden. Nur ein “wirklich geeintes Europa” als dezentralisierterechter Staatenbund sei aber fähig, dieses und andere Probleme zulösen. Von diesem erstrebenswerten Zustand sieht Magris dieEuropäische Union hingegen weit entfernt; er beklagte die”gegenwärtige Schwäche und Zerrissenheit Europas”.
Diese Diagnose war wohl auch auf den intellektuellen Horizontder Europäer gemünzt, denn relativ deutlich konstatierte MagrisSelbstzufriedenheit und Ignoranz: “Wir wiegen uns in der Illusion,ohne Krieg zu leben, weil der Rhein keine von Hunderttausenden vonSoldaten umkämpfte Grenze mehr ist oder weil auf dem Karst hinterTriest nicht mehr diese Grenze verläuft, die der unüberwindbareEiserne Vorhang war und ein Pulverfass zugleich.”
Dabei habe längst der dritte Weltkrieg stattgefunden: “Ungefähr20 Millionen Tote nach 1945, die im Unterschied zu denen desZweiten Weltkrieges so gut wie unbekannt geblieben und einembrutalen Vergessen anheim gegeben sind.” Krieg, das sei nicht nurdas Blutbad in Biafra oder der 11. September 2001 in New York;Krieg sei auch das Morden der Mafia oder der Handel mit Organen vonKindern, die eigens deswegen getötet würden.
“Hysterisch und symptomatisch in ihrerBrutalität”
Besonders kritisch setzte sich Magris, seit Jahren auch Anwärterauf den Literaturnobelpreis, mit seinem Heimatland Italienauseinander. Die Reaktionen auf die aus Afrika kommendenBootsflüchtlinge etwa seien “hysterisch und symptomatisch in ihrerBrutalität”.
Zudem attackierte er ein neues Gesetz, das Bürgern erlaube,selbst die Ordnung und Sicherheit im Einwandererland Italien zukontrollieren. “Als italienischer Patriot hoffe ich, dass mein – imübrigen bezauberndes – Land nicht noch einmal Vorkämpfer innegativem Sinn sein wird: Den Faschismus in Europa habenschließlich wir erfunden, auch wenn uns danach andere in ihremEifer weit übertroffen haben.”